24. - 26.11.2023
Editorial
Vom 24.11.2023 bis zum 26.11.2023 finden die 11. Tage des Indigenen Films in Rostock statt, wie gewohnt im LiWu Kino in der Frieda23. Auch dieses Jahr präsentieren wir von Freitag bis Sonntag eine Auswahl von 7 Langfilmen und einen Kurzfilmblock und zu Beginn jeden Festivaltages einen Workshop oder Vortrag.
Alle Filme werden durch eine Einführung und eine moderierte Diskussion gerahmt. Unser Anliegen ist es, sich über indigene Perspektiven im Kino und darüber hinaus auszutauschen und das Programm mit euch zu diskutieren!
Die Teilnahme an den Workshops und Vorträgen ist kostenfrei. Sie werden hybrid angeboten. Interessierte, die nicht die Möglichkeit haben, zu uns ins Kino zu kommen, können digital daran teilnehmen.
Für einzelne Filmvorstellungen gelten die Preise des LiWu: 7,50€ Normalpreis, 6€ ermäßigt und 5€ unter 21 Jahren.
Festivaltickets für 25 Euro, die den Eintritt zu allen Filmen beinhalten, sind im LiWu erhältlich.
Mehr Infos zu Preisen, Anfahrt und dem Kino in der Frieda23 findet ihr auf der Seite des LiWu.
Der Zugang zum Kino ist barrierefrei.
Aktuelle Informationen findet ihr neben dieser Website auch auf Facebook und Instagram (@indigenerfilm)
Für Fragen und Anmerkungen erreicht ihr uns unter info@indigenerfilm.de
From 24.11.2023 to 26.11.2023, the 11th Days of Indigenous Film will take place in Rostock, as usual at the LiWu cinema at the Frieda23. This year, we will again present a selection of 7 feature-length films and a short film block from Friday to Sunday and a workshop or lecture at the beginning of each festival day.
All films will be framed by an introduction and a moderated discussion. Our aim is to share indigenous perspectives in cinema and beyond, and to discuss the programme with you!
Participation in the workshops and lectures is free of charge. They are offered on a hybrid basis. Interested people who do not have the opportunity to come to our cinema can participate digitally.
For individual film screenings, the LiWu prices apply: 7,50€ normal price, 6€ reduced and 5€ under 21.
Festival tickets for 25€, which include admission to all films, are available at LiWu.
More information on prices, how to get there and the cinema at Frieda23 can be found on the LiWu website.
Access to the cinema is barrier-free.
In addition to this website, you can also find up-to-date information on Facebook and Instagram (@indigenerfilm).
For questions and comments, please contact us at info@indigenerfilm.de.
Del 24.11.2023 al 26.11.2023 tendrán lugar en Rostock las XI Jornadas de Cine Indígena, como de costumbre en el LiWu Kino de Frieda23. Este año volveremos a presentar una selección de 7 largometrajes y un bloque de cortometrajes de viernes a domingo, así como un taller o conferencia al comienzo de cada jornada del festival.
Todas las películas estarán enmarcadas por una introducción y un debate moderado. Nuestro objetivo es compartir las perspectivas indígenas en el cine y más allá, ¡y debatir el programa con usted!
La participación en los talleres y conferencias es gratuita. Se ofrecen sobre una base híbrida. Las personas interesadas que no tengan la oportunidad de acudir a nuestro cine pueden participar digitalmente.
Para las proyecciones de películas individuales, se aplican los precios LiWu:
7,50 euros precio normal, 6 euros reducido y 5 euros para menores de 21 años.
Los abonos para el festival por 25 euros, que incluyen la entrada a todas las películas, están disponibles en LiWu.
Más información sobre precios, cómo llegar y el cine en Frieda23 en el sitio web de LiWu.
El acceso al cine está libre de barreras.
Además de este sitio web, también puede encontrar información actualizada en Facebook e Instagram (@indigenerfilm).
Si tiene preguntas o comentarios, escríbanos a info@indigenerfilm.de.
Programm der Filmtage
2023
WORKSHOP I – Was sind Gemeinschaftsfeminismen und was ist ihr Ansatz zur Verteidigung des Lebens angesichts der heutigen Ausbeutung der Menschen und Ressourcen?
In Abya-Yala (aus der Sprache der Kuna im heutigen Panamá und Kolumbien stammender, vorkolonialer Name für den amerikanischen Kontinent) hat sich die Bewegung der Überschneidung und Gleichzeitigkeit verschiedener Körper und Territorien, die von indigenen Gruppen und verschiedenen Frauen* auf dem ganzen Kontinent angeführt wird, seit den 2000er Jahren vervielfacht. Mehrere Arbeiten, sowohl akademische als auch zivilgesellschaftliche, basieren nicht nur auf einer feministischen Perspektive, sondern greifen auch Fragen zu Gender und Rassismus, Ökologie, Kolonialismus, und den Kampf gegen Bergbau und für die Rechte des Wassers auf.
In Territorien wie Bolivien und Guatemala erobern die Frauen* in ihren Gemeinschaften ihre ursprünglichen Praktiken zurück. Im so genannten Community-Feminismus (Gemeinden- Feminismus) verteidigen sie ihre Räume, ihr Land, ihre Territorien als Teil ihrer eigenen Körper, da beides miteinander verbunden ist und sie Boden und das Land als eine Selbsterweiterung ihrer selbst begreifen, die nicht abgetrennt werden kann. Kreativität, Rebellion und Transgression untermauern ihre Vorstellung von antipatriarchaler Gemeinschaft.
Durch den Ansatz Körper-Territorium, vom Netzwerk der Ahnenheiler*innen des Gemeinschaftsfeminismus* in Guatemala praktiziert und entwickelt, versuchen wir die historischen, biographischen und politischen Verbindungen mit den globalen Produktions- und Lebensweisen, die jeder Mensch nach Auffassung des Ansatzes hat, zu reflektieren und zu diskutieren. Nach diesem Ansatz sind es die Körper und Territorien, die Orte in denen sich die Auswirkungen der Zerstörung und Ausbeutung der globalen Produktions- und Lebensweise manifestieren; genau das sind jedoch auch die Orte, an denen Widerstand und transformative Handlungsweisen entstehen.
Wir hoffen, dass die Lernprozesse während der Tage des Indigenen Films 2023 sehr konstruktiv durch die Auseinandersetzung mit diesem Konzept unterstützt und ergänzt werden. Dieses Konzept bietet einen tiefgehenden Rahmen, um die Inhalte der Filme und Veranstaltungen zu reflektieren und zu betrachten und einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen und das Empathievermögen zu stärken.
(*) Das Netzwerk der Ahnenheiler*innen des Gemeinschaftsfeminismus, Tzk'at in der Quiché-Sprache der Maya, wurde 2015 in Guatemala gegründet. Diese Maya-Frauen*, die sich selbst als „Gemeinschaftsfeministinnen“ bezeichnen, beteiligen sich an den Prozessen der emotionalen und spirituellen Genesung indigener Frauen*, die angesichts von Kriminalisierung und Strafverfolgung ihre angestammten Gebiete verteidigen und für das Leben in ihren Gemeinschaften kämpfen.
Jessica Valdez ist Bildungsreferentin in den Bereichen Anti-Diskriminierung, Klimagerechtigkeit und solidarischer Handel. Sie organisiert und leitet Veranstaltungen und produziert audiovisuelle Bildungsmaterialien aus einer dekolonialen und machtkritischen Perspektive.
Sie strebt stetig an, kritische, gesunde, kollektive und künstlerische Räume und Diskussionen zu schaffen. Sie ist Teil von Red Leaves Studios, ein Kollektiv von Kommunikator*innen, (Impact-)Kampagnendesigner*innen, Medienproduzent*innen und Veranstaltungsorganisator*innen – für soziale Bewegungen und Gemeinschaften an der Frontlinie.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem G3-Projekt des Frauenbildungsnetz MV e.V.
Die Designerin Marta wird von dem spanischen Modekonzern, für den sie arbeitet, ins mexikanische Oaxaca geschickt, um sich von den lokalen Mustern, Farben und Designs inspirieren zu lassen. Das heißt, sie soll sie stehlen, damit der Konzern mit einer neuen Kollektion für seine europäischen Kund*innen Profite machen kann. In Oaxaca wird die traditionelle Textilkunst von der Gemeinschaft der Muxes praktiziert. Muxes sind nichtbinäre Personen, deren soziales Geschlecht zwar in der zapotekischen Gesellschaft seit Jahrhunderten anerkannt wird, die aber dennoch von der katholisch geprägten Bevölkerung Gewalt und Diskriminierung erfahren.
Marta freundet sich mit der Muxe Amaranta an, die unter der Zurückweisung durch ihren patriarchalen Vater leidet. Sie besuchen den Roca del Alma, den Seelenfels, an den die Muxes ihren Schmerz richten. Sie treffen Delirio, Verteidiger*in der Muxe-Gemeinschaft gegen Anfeindungen und sexistische Übergriffe.
Die Muxes leben ein gefährliches Leben auf dem schmalen Grat, einerseits für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung zu stehen und andererseits für diese Selbstbestimmung unterdrückt zu werden. Die Muxes-Gemeinschaft führt verbotene romantische Beziehungen mit Verheirateten oder richtet ihre Sehnsucht an anonyme Männer, wie Delirio mit ihrem Brieffreund in Finnland. Marta muss sich entscheiden, ob sie die Muxes zu ihren Zwecken missbraucht oder ihr Leid, ihre Rechte und ihr Werk anerkennt.
Die Themen geschlechtliche und kulturelle Selbstbestimmung werden in Finlandia explizit und anschlussfähig referiert. Die Lebenswelt der Muxes, die tragische gesellschaftliche Rolle, in die sie gezwungen werden und das persönliche Leid werden eindrücklich vermittelt, wodurch dem Publikum eine empathische und intime Erfahrung ermöglicht wird.
Der Film reproduziert einige der Effekte, die er kritisiert, wodurch er sie explizit und für eine Diskussion zugänglich macht: Die lebhaften Farben und faszinierenden Muster der Muxes-Kleidung ziehen auch das Publikum in den Bann und offenbaren damit den konsumtiven Blick auf das kulturell Andere im europäischen Kinosaal.
Finlandia als diesjährigen Eröffnungsfilm zeigen wir in Kooperation mit dem QueerFilmFest Rostock.
Der Regen bleibt aus, im bolivianischen Hochland, dem Altiplano. Er wird immer häufiger ausbleiben und damit wird das Land zunehmend unbewohnbarer. Das ältere, Quechua sprechende Ehepaar Virginio und Sisa hat hier Haus und Hof und hütet seine Lamas. Ihr Enkel Clever versucht sie zu überzeugen, mit in die Stadt zu kommen, damit Virginio seine schwere Krankheit behandeln lassen kann. Doch für die beiden mag es schon zu spät sein, ihr Leben noch einmal neu auszurichten. Lieber bleibt Virginio bei dem, was für ihn immer galt und geht damit in Würde, als seine Lebensweise und sein Land aufzugeben.
In Utama prallen verschiedene Wissenstraditionen aufeinander. Für die Stadtbewohner*innen ist es vernünftig, sich der modernen Medizin zuzuwenden und ein müheloseres Leben in der Stadt zu führen. Die Menschen auf dem Land müssen ihre Lebensweise rechtfertigen, obwohl sie es sind, die die Traditionen bewahren und sich tagtäglich an den Orten behaupten, die von einem global verantworteten Klimawandel zerstört werden, für den sie selbst am wenigsten können. Clever und seine Großeltern erleben diesen Gegensatz als Generationenkonflikt, dessen Überwindung durch gegenseitigen Respekt gelingen kann.
Das Altiplano liegt in über 3.500 Metern Höhe. Die Landwirtschaft in dem kargen Gebiet ist aufgrund der kurzen Regenzeit vom Gletscherwasser abhängig. Durch den Klimawandel wird es heißer, die Trockenperiode länger und die Gletscher schmelzen.
Der Klimawandel bedeutet Kulturverlust. Dieser Verlust wird in Utama betrauert. Dabei wird das Potenzial eines selbstbestimmten Alterns und Todes als widerständiger Akt untersucht.
Im Spielfilmdebüt des bolivianischen Regisseurs Alejandro Loayza Grisi wird dem Publikum viel Zeit gegeben, sich mit dem Leben der beiden Alten und der Umgebung vertraut zu machen. Die Kamera verharrt in Virginios Gesicht, in das sich die Zeit eingeschrieben hat. Ein leichtes Unbehagen, eine gewisse Spannung, durchzieht den ganzen Film und wird durch das Sounddesign verstärkt. Die Verwüstung des Landes wird im Kino erlebbar. Man spürt die trockene Luft und den Sand auf der Haut. Wenn die Lamas durch das Bild stolzieren, entpuppen sie sich als die eigentlichen Filmstars.
Der Produzent des Films, Santiago Loayza Grisi, wird vor Ort sein und im Anschluss an die Vorstellung im Gespräch Fragen zum Film beantworten.
Amparo und ihre beiden Kinder Nuria und Fabio begeben sich auf eine beschwerliche und emotional herausfordernde Reise, die sie im metaphorischen wie auch tatsächlichen Sinne in eine unsichere Zwischenwelt führt. Als Geflüchtete vor dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien suchen sie auf einer Insel im Amazonas in der Grenzregion zwischen Peru, Kolumbien und Brasilien Zuflucht und sehen sich gezwungen hier in den Zwischenräumen zwischen den Ländern und den Realitäten zu leben. Elemente des sozialen Realismus werden gekonnt mit einer fantastischen Traumwelt verwoben. Einfühlsam werden die komplexen Auswirkungen von Verlust und Unsicherheit auf die Familie untersucht. Dabei verleiht die brasilianische Regisseurin Beatriz Seigner dem Übernatürlichen eine fast mühelose Natürlichkeit.
Darüber hinaus beeindruckt Los Silencios durch seine eindringliche visuelle Gestaltung. Durch die Kameraarbeit von Sofia Oggioni unter Verwendung einer subtilen Palette von Licht und Farben wird die Umgebung, in der sich die Ereignisse entfalten, stimmungsvoll eingefangen. Die amazonische Flusslandschaft wird zu einem bedeutenden Element der Erzählung, in dem sich Schmerz und Hoffnung der Protagonist*innen widerspiegeln. Die Kamera gleitet sanft über die Wasseroberflächen und fängt aufmerksam die ruhigen Momente ein, in denen die Familie mit ihren eigenen inneren Konflikten ringt.
Die Amazonas-Region dient als Kulisse für eine Geschichte von Verlustbewältigung, Migration und familiären Bindungen. Emotionale Prozesse werden tiefgreifend und dennoch mit besonderer Behutsamkeit vermittelt, während die zurückhaltenden Dialoge die visuelle Erzählung ergänzen. Unterstützt wird dieses Zusammenspiel auch durch einen Soundtrack, der die Klänge des Waldes und des Flusses und traditionelle Instrumente in sich versammelt und sie miteinander verwebt.
INDIGENES UPCYCLING – Regenmacher und Traumfänger
Was ist Upcycling? - Upcycling ist eine nachhaltige Technik, bei der Rest- und Altstoffe, die eigentlich im Müll landen würden, neues Leben eingehaucht bekommen. Dadurch tragen wir nicht nur zur Entlastung der Umwelt bei, sondern schaffen auch einzigartige und kreative Kunstwerke. Upcycling ist somit nicht nur gut für die Natur, sondern macht auch jede Menge Spaß!
Ein Blick über den Tellerrand: Lernen von indigenen Völkern: Im Rahmen unseres Workshops möchten wir nicht nur Upcycling-Techniken vorstellen und ausprobieren, sondern auch einen spannenden Einblick in die Kultur und Traditionen indigener Völker des Globalen Südens geben. Rosana Perez de la Cruz, die selbst Indigena aus Kolumbien ist, wird uns dabei ihre persönlichen Erfahrungen und das wertvolle Wissen ihrer Gemeinschaft näherbringen. Wir möchten zeigen, dass die Menschen in der westlichen Welt viel von den indigenen Gesellschaften lernen können und dass diese nicht nur Betroffene der Globalisierung sind.
Der Workshop findet in Kooperation mit der Kunstschule Rostock statt und wird von der engagierten Upcycling-Expertin Rosana Perez de la Cruz betreut.
Der Workshop wird durch das Aktionsgruppenprogramm von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
Wir freuen uns auf einen inspirierenden Workshop voller Kreativität und nachhaltigem Lernen und hoffen, euch dort begrüßen zu dürfen!
WORKSHOP II – Postkolonialer Stadtrundgang durch Rostock
Wie bereits im Vorjahr findet im Rahmen der Filmtage wieder ein Postkolonialer Stadtrundgang durch Rostock mit Aktiven der Initiative Rostock Postkolonial statt.
Kolonialismus und indigene Ausbeutung spiegeln sich auch in der Rostocker Geschichte wider. Insbesondere gilt dies für human remains, die sich noch immer im Bestand öffentlicher Institutionen befinden. Aber auch ein kurzer allgemeiner Einstieg in die Kolonialgeschichte und Beschäftigung mit einzelnen Aspekten, wie etwa Bildung und Erinnerungskultur oder Gender und Kolonialismus sollen einen Raum finden.
Der Rundgang möchte ein Bewusstsein für unterschiedliche Perspektiven schaffen und auf Verflechtungen der kolonialen Vergangenheit zur Gegenwart aufmerksam machen. Dabei geht es stets um das Sichtbarmachen globaler Zusammenhänge. Er möchte versuchen die schwere Tragweite begreifbar zu machen, die für Kolonisierte während dieser Epoche entstand und durch manifestierte Machtstrukturen auch heute noch besteht.
Der Rundgang ist interaktiv gestaltet und möchte das Gespräch zwischen den Teilnehmenden und die Auseinandersetzung mit kolonialen Spuren im Alltag anregen.
Gestaltet wird der Rundgang von Soziale Bildung e.V. in Kooperation mit der Initiative Rostock Postkolonial.
Bhutan, ein kleines südasiatisches Königreich zwischen Indien und China, das zum überwiegenden Teil in großer Höhe im Himalaya liegt, hat in den letzten Jahrzehnten durch sein unkonventionelles Konzept des Bruttosozialglücks anstelle des herkömmlichen Bruttoinlandsprodukts als Maßstab für Fortschritt und Wohlstand internationale Aufmerksamkeit erregt. Trotz dieses Versuchs, Wohlstand ganzheitlicher zu definieren, verlassen viele junge Menschen das Land auf der Suche nach persönlicher und beruflicher Erfüllung in der westlichen Welt.
So auch der angehende Lehrer Ugyen, der Protagonist dieses Films. Er träumt davon, in Australien eine Musikerkarriere zu starten, doch er wird von seinem Staat dazu verpflichtet, sein letztes Ausbildungsjahr als Lehrer in Lunana zu verbringen, einem weit abgelegenen Dorf, das auf 4.000 Metern über dem Meeresspiegel an den Gletschern des Himalaya liegt. Hier trifft Ugyen auf eine Gemeinschaft, die ihm mit großem Respekt, Geduld und Verständnis begegnet, und auf eine Gruppe von Kindern, deren ungebremster Wissensdrang und Aufgeschlossenheit ihn zunächst völlig überfordern. Nur sehr langsam beginnt Ugyen, seine Meinung über Lunana zu korrigieren und sich den dort lebenden Menschen zu öffnen.
Lunana bezeichnet eigentlich ein ganzes Gebiet – einen von vier Gewogs (Zonen) im Bezirk Gasa im Nordwesten des Landes. Der Film wurde in den benachbarten Dörfern Lhedi und Chozo gedreht, zwischen denen 4 bis 5 Stunden Fußmarsch liegen. In die Grundschule von Lhedi kommen sogar Kinder aus noch weiter entfernten Dörfern.
Übersetzt bedeutet Lunana „das dunkle Tal“. Der Name verweist auf die Abgelegenheit dieser Region – so weit entfernt, dass nicht einmal das Licht dorthin gelangt. Lhedi ist von der Bus-Endstation in Gasa aus in einem achttägigen Trek erreichbar.
Pawo Choyning Dorjis erster Spielfilm ist eine sehr leise und behutsame Suche nach dem Glück und eine gefühlvolle Reflexion über Bildung und zwischenmenschliche Beziehungen, aber auch über die Widersprüche und Sehnsüchte in der bhutanischen Gesellschaft. Der Film basiert auf den realen Gegebenheiten in Lunana. Er wurde – da es vor Ort weder Strom noch eine Mobilfunkverbindung gibt – mit Solarbatterien gedreht und mit einer Besetzung, die zu großen Teilen aus den Bewohner*innen von Lunana besteht.
Im Nordosten Kambodschas wurde ein Dorf der indigenen Bunong durch den Bau eines Staudamms überflutet. Die Bewohner*innen müssen in die Hauptstadt umziehen. Neangg und ihrem Bruder bleibt ein letzter Tag in ihrer Heimat. Der Bruder will die Vergangenheit möglichst schnell hinter sich lassen. Die Schwester sucht jedoch noch einmal den Ort auf, an dem ihre Vorfahren zur letzten Ruhe kommen sollen. Sie verabschiedet sich auf eine ganz persönliche Weise.
Der Kurzfilm erzählt implizit von Verlust und Entwurzelung und fängt durch sein ruhiges Tempo die innewohnende Melancholie des Themas Vertreibung ein. Der fiktionale Kurzfilm hat eine dokumentarische Anmutung. Der kambodschanische Filmemacher Polen Ly arbeitet seit 2017 an einer Dokumentation über ein Dorf der Bunong.
Die beiden jungen guyanischen Filmemacher*innen Audrey und Maxime Jean-Baptiste erzählen in dem experimentellen Essay-Film die Geschichte der Enteignung der guyanischen Bevölkerung beim Bau des Raumfahrtzentrums in Kourou. Bei der Errichtung 1964 durch Frankreich wurden 600 Bewohner*innen zur Umsiedlung gezwungen und ihr Leben auf den Kopf gestellt. Heute wird die Raketenbasis von der Europäischen Weltraumorganisation betrieben und ist der wichtigste Arbeitgeber des Landes.
Der Film verwebt Material aus dem audiovisuellen Archiv der französischen Raumfahrtagentur mit Feldforschungsnotizen und autobiographischen Einblicken. Der dichte Soundtrack schafft eine akustische Atmosphäre, die den Gefühlen und Erfahrungen der Trauer und Konfusion gerecht wird.
Die 13-jährige Astel hütet zusammen mit ihrem Vater die Kuhherde ihrer Familie. Die starke Bindung zwischen den beiden wird durch eine Begegnung in der Steppe bedroht, die Astels Erwachsenwerden ankündigt. Astel fügt sich nicht einfach in die Rolle ein, die von der Hirtengemeinschaft für sie vorgesehen ist. Es blitzt die Möglichkeit auf, dass sie ihr Leben so weiterführen kann, wie sie es möchte.
Die Filmemacherin Ramata Sy Toulaye, die selbst in Frankreich aufgewachsen ist, ließ sich von ihrer eigenen starken Bindung zu ihrem Vater inspirieren. Sie verlegte die Geschichte in die Region, aus der ihre Eltern kommen. Sy beschäftigt sich mit den Brüchen von emotionalen Bindungen, die man kaum in Worte fassen kann und die man auf sich alleine gestellt erkunden muss. Die Erzählung erarbeitete sie vor Ort mit den Fulani-Hirten, die auch als Laienschauspieler*innen auftreten.
Ruanda 1973: Hoch oben in den Bergen, an einer der Quellen des Nils behütet eine schwarze Marienfigur ein katholisches Mädcheninternat. Die Tage sind ausgefüllt mit Unterricht, Gottesdienst und praktischer Arbeit. Hier werden die Töchter von Politikern, Militärs und Geschäftsleuten ausgebildet; sie sollen später zur Elite des Landes gehören. In ihrem Lebenshunger, ihren Träumen und ihrer Ausgelassenheit sind die Mädchen sich ähnlich, egal ob Hutu oder Tutsi. Doch im Mikrokosmos der Schule und in den immer schärfer werdenden Auseinandersetzungen spiegeln sich die Verheerungen einer kolonialen Ordnung.
Eine Quote schreibt bereits vor, dass in diesem religiösen Internat eine Minderheit von Tutsi (10%) aufgenommen werden muss, die von ihren Mitschülern als "Inyenzi", "Kakerlaken", bezeichnet werden und die ein etwas aufgedrehter weißer Nachbar namens Fontenaille für die Nachfahren des Reichs der schwarzen Pharaonen hält. Er will sie porträtieren, bevor es zu spät ist. In seinem Film entscheidet sich Atiq Rahimi meistens für schöne Bilder, womöglich um die Zerbrechlichkeit dieses bedrohten Paradieses zu zeigen. Im Vorfeld des Horrors breitet sich unter den Tutsi-Mädchen des Internats allmählich Angst aus. Darunter Virginia, die Doppelgängerin der ruandischen Autorin Scholastique Mukasonga, deren bitteren Roman der afghanische Schriftsteller und Filmemacher adaptiert hat. Eine Art und Weise für ihn, daran zu erinnern, dass die Tragödie von Asien bis Afrika universell ist. Und dass der Gott von Notre Dame du Nil machtlos ist, sie zu verhindern.
Die Schriftstellerin Scholastique Mukasonga erhielt im Jahr 2012 den renommierten französischen Literaturpreis Prix Renaudot für Notre-Dame du Nil. Die ruandische Autorin erzählte in ihrem Roman von ihrer Kindheit in den 1970er Jahren in einer katholischen Einrichtung für Mädchen aus der besseren Gesellschaft ihres Landes. Die Geschichte wurde von Kigali, wo sie selbst zur Schule ging, in ein Internat in den Bergen im Zentrum des Landes verlegt und ließ in diesem geschlossenen Raum die ersten Konflikte zwischen Hutu und Tutsi eskalieren, die zwanzig Jahre später zu dem bekannten Genozid führen sollten.
WORKSHOP III – (De-)Koloniale Archive
Filmarchive sind wertvolle Ressourcen für Forschung und Bildung, die Einblicke in verschiedene Kulturen und Gesellschaften weltweit bieten. Historiker*innen, Filmemacher*innen und Künstler*innen können auf diese Archive zugreifen, um die Vergangenheit zu erkunden, neue Erzählungen zu schaffen und ein besseres Verständnis der Weltgeschichte zu fördern. Außerdem ermöglichen sie es, filmische Techniken und Stile im Laufe der Zeit zu verfolgen und die Entwicklung des Kinos als Kunstform zu dokumentieren.
Allerdings stellen sich Fragen zur Neutralität und Zugänglichkeit von Filmarchiven. Gibt es Tendenzen, bestimmte kulturelle oder nationale Perspektiven zu betonen? Wie ist der Zugang zu diesen Archiven für Forscher*innen und Künstler*innen aus verschiedenen Regionen der Welt geregelt? Welche Anstrengungen werden unternommen, um die Vielfalt der Perspektiven angemessen zu repräsentieren und ethische Fragen im Umgang mit problematischen Darstellungen zu berücksichtigen?
Das Lumière-Archiv, bestehend aus über 1.400 Filmen, bietet eine gute Gelegenheit, diese Fragen zu vertiefen. Als Fallstudie ermöglicht es uns, die Neutralität, Zugänglichkeit und ethische Verantwortung von Filmarchiven in Bezug auf historisches Filmmaterial aus kolonialen Zeiten zu untersuchen. Der Vortrag wird in die Geschichte des Kinos einführen, den Mythos „Lumière“ und die an ihn geknüpfte Ursprungserzählung kritisch beleuchten und anhand von Beispielen aus dem Archiv die Diskussion über die Rolle von Filmarchiven in der Bewahrung und Präsentation von filmischem und kulturellem Erbe vertiefen.
Christin Gustke studiert an der FU Berlin Filmwissenschaft und Philosophie und ist als freischaffende Künstlerin und Kuratorin in Leipzig tätig. Sie ist seit 2013 Mitglied des Kurationsteams für die Tage des indigenen Films.
Alain Kassanda wurde in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa geboren und wanderte mit seiner Familie im Alter von 11 Jahren nach Frankreich aus. In seinem ersten abendfüllenden Film Colette et Justin möchte er von seinen Großeltern und Hauptprotagonist*innen Colette Mujinga und Justin Kassanda – beide geboren und aufgewachsen in Kongo während der Kolonialzeit – aus erster Hand erfahren, wie das Leben unter belgischer Herrschaft ausgesehen hat. Es entspinnt sich eine Zeitreise voller Überraschungen für ihn, weil er mit vielen ihm bisher unbekannten Aspekten der Geschichte seiner Familie und des Landes in Berührung kommt.
Der Film stützt sich dabei in erheblichem Maße auf Archivmaterial aus der Kolonialzeit, wozu Kassanda zu Recht die offene und selbstkritische Frage stellt: „Wie lässt sich eigentlich ein Film aus den Archiven des Unterdrückers machen?“ Die Zuschauenden werden eingeladen, am Prozess des Auswählens, Ausmistens und Ausprobierens mit dem Material teilzunehmen. Das koloniale Bildmaterial, die Erinnerungen von Colette und Justin sowie die Gedanken des Filmemachers über den Kolonialismus, die politische Geschichte des Kongos, die Migration und die Geschichte seiner Familie stehen dabei in ständigem Bezug zueinander.
Beim gemeinsamen Sichten eines Films aus der Kolonialzeit, in dem schreiende, halb-nackte Kongoles*innen mit Pfeil und Bogen in einem imaginären Krieg gegeneinander zu sehen sind, erkennen Kassandas Großeltern mühelos, dass es sich um einen belgischen Propagandafilm handelt. Durch die aufmerksame Gesprächsführung des Filmemachers erfahren wir zum Beispiel anhand von Colettes Schicksal mehr über die Ungleichbehandlung von Mädchen und Frauen in Bildung und Beruf während der belgischen Herrschaft in Kongo, oder wie die Kolonisatoren verschiedene Bevölkerungsgruppen aus purem Machtkalkül gegeneinander hetzten.
Weit entfernt von den manchmal sterilen Debatten über das Erbe der Kolonialisierung: Colette et Justin stellt das Erlebte in den Vordergrund und humanisiert dadurch eine (zu) oft vernachlässigte Geschichte.
„Einer der Gründe, warum ich diesen Film gemacht habe, ist, dass ich mir die Erzählung neu aneignen wollte. Diese Geschichte wird in meiner Familie nicht weitergegeben, aber generell kennen Afro-Nachkommen nicht unbedingt die Geschichte des Herkunftslandes ihrer Eltern. Wer bewahrt diese Erinnerung auf?“ (Alain Kassanda)
Es gibt unzählige Geschichten der Gewalt. Um ihnen gerecht zu werden, müsste man jede einzeln erzählen und betrauern. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. Kann man eine Gewaltgeschichte erzählen, ohne den einzelnen Schicksalen unrecht zu tun?
Patricio Guzmán hat ein Filmgedicht über die Gewaltgeschichte Chiles geschaffen. Er folgt dem Wasser der Ströme Patagoniens in den Ozean, der Chile an seinen tausenden Kilometern Küste umschließt, bis zu den Sternen, die ebenso Wasser enthalten wie die Menschen aller Kulturen zu allen Zeiten.
Das Gedächtnis des Ozeans und die Stimme des Wassers beinhalten die Geschichte des Genozids an den Indigenen Patagoniens ebenso wie die der Desaparecidos, der Ermordeten der chilenischen Militärdiktatur Pinochets. Guzmán verbindet seine eigene Geschichte als Überlebender, der nach dem Putsch gegen Salvador Allende verhaftet, gefoltert und zur Flucht gezwungen wurde, mit der Geschichte seines Landes und Überlegungen über das Böse und das Wesen des Menschen.
Er bereist Patagonien und lässt sich von dessen nasser, rauer und majestätischer Landschaft überwältigen. Er trifft die Nachfahr*innen der indigenen Bevölkerung, die Ende des 19. Jahrhunderts systematisch ermordet und von ihrem Land vertrieben wurden: Die Kawésquar Gabriela Paterito und die letzte Yagan, die noch die Sprache ihrer Gesellschaft muttersprachlich beherrschte, Cristina Calderon.
Er erzählt die Geschichte des Indigenen Jemmy Button, der 1830 auf dem Schiff nach London reiste, auf dem auch der junge Charles Darwin mit an Board war und auf der Reise über den Atlantik sein Unglück fand.
Schließlich zeigt Guzmán, wie in Patagonien auf indigenem Territorium Konzentrationslager für Oppositionelle errichtet wurden, und die Leichen, von denen nur noch Spuren wie ein einzelner Perlmuttknopf zeugen, im Ozean versenkt wurden.
Guzmán stellt den Genozid an den Indigenen Patagoniens und die Ermordung der politischen Gegner*innen während der rechten Diktatur in den Kanon der chilenischen Nationalgeschichte. Er entscheidet sich für die Poesie und gegen die Mittel der Ethnographie und bevorzugt die Suche nach der Gemeinsamkeit statt der partikularen Genauigkeit. El Botón de Nácar ist eine Anklage gegen die Gewalt, das Verschwindenlassen, die Ungerechtigkeit, die überall und zu jeder Zeit das gleiche Verbrechen darstellen.