Indigene Gesellschaften werden weltweit innerhalb ihrer spezifischen regionalen und politischen Kontexte marginalisiert.
Ihre Kulturen nehmen auf vielfältige Weise Bezug zur leidvollen Geschichte des Kolonialismus und zu dessen fortdauernden gegenwärtige Auswirkungen. Die Aushandlung indigener kultureller Identität ist davon geprägt, sich einerseits gegenüber der hegemonialen westlichen Kultur und Lebensart zu behaupten und andererseits diese auch selbstbestimmt anzunehmen – also autonom die eigenen Lebensumstände zu gestalten.
Weiterhin finden sich sehr konkrete kolonialistische Praktiken in der gegenwärtigen Lebensrealität Indigener wieder. Noch immer wird vielen Gruppen ihr Recht auf ein die von ihnen traditionell bewohnten Gebiete angestammtes Territorium oder darauf, einen Lebensraum selbstbestimmt zu wählen, abgesprochen. Private und nationalstaatliche Akteure begehen in Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen Raubbau an den Bodenschätzen, was auch noch im 21. Jahrhundert zu Vertreibung indigener Gesellschaften führt. In der medialen Darstellung indigener Menschen werden Stereotype und Klischees von den „wilden Völkern“ reproduziert; in Film und Fernsehen haben sie Indigene selten eine eigene Stimme. Mit den Tagen des indigenen Films wollen wir das Interesse wecken für die Kultur und soziale Situation indigener Gesellschaften und bieten Indigenen eine Plattform, ihre Lebenssicht aus der eigenen Perspektive darzustellen. Die Beschäftigung mit indigenen Kulturen kann unsere Weltsicht und unser Verhalten zu mehr gegenseitigem Verständnis beitragen, was verändern und ein konstruktives Miteinander auf Augenhöhe überhaupt erst ermöglichen.
Der diesjährige Schwerpunkt des Festivals lautet „Bildungschancen“.
In indigenen Gemeinschaften auf der ganzen Welt werden die unterschiedlichsten Lehrtraditionen und Bildungsansätze gelebt.
Sie in den jeweiligen kulturellen Kontexten ergänzten oder ersetzt ersetzen in den jeweiligen kulturellen Kontexten die Bildung in staatlichen oder missionarischen Institutionen.
Indigene Lehrmethoden und -inhalte stoßen auch in Gesellschaften, in denen Bildung vorwiegend schulisch organisiert ist, auf Interesse. Für die Wissensinhalte Indigener beispielsweise in den Bereichen Umweltschutz, Pflanzenkunde und Organisation von Gemeinschaft interessieren sich wissenschaftliche und politische Akteure aus dem Westen und sehen mitunter in ihnen einen Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Weiterentwicklung der Medizin oder der Begegnung des anthropogenen Klimawandels.
Indigene Heranwachsende müssen sich zusätzlich zu dem Erwerb von Wissen der jeweiligen kulturellen Gemeinschaft mit dem Schulsystem der Mehrheitsgesellschaft auseinandersetzen. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen ist für Indigene ethnische Minderheiten in vielen Staaten allerdings eingeschränkt. Höhere Bildungsabschlüsse werden von Indigenen seltener erreicht als von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und sind unter indigenen Frauen noch einmal weniger verbreitet als unter indigenen Männern.
Im Artikel 14 der UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker wird indigenen Gesellschaften das Recht zugestanden, ihre eigenen Bildungssysteme einzurichten, zu kontrollieren und in ihren eigenen Sprachen und kulturspezifischen Lehr- und Lernmethoden zu unterrichten.
Institutionalisierte Bildung wird allerdings meist an staatlichen oder religiös getragenen Schulen in der jeweiligen Amtssprache angeboten und die kulturspezifischen Lernmethoden von Indigenen Minderheiten werden nicht selten berücksichtigt. Durch die ungleichen Startbedingungen in der Schule werden indigene Kinder häufig von vornherein mit ihrer Rolle als die Anderen konfrontiert oder erlernen, dass sie vermeintlich defizitär seien.
Schulen sind nicht zuletzt eine Einrichtung in denen SchülerInnen zu StaatsbürgerInnen erzogen werden. Somit eignen sie sich als Ort, an dem die Assimilierung in die Mehrheitsgesellschaft vorangetrieben werden kann, was der Entwicklung einer selbstbewussten indigenen Identität zuwiederlaufen kann. Zwingt der Besuch einer Bildungseinrichtung dazu, die lokale Gemeinschaft zu verlassen, sind indigene SchülerInnen einem höheren Risiko ausgesetzt Gewalt zu erfahren. Somit ist nicht nur der Ausschluss von Bildung sondern auch die Ausgestaltung der schulischen Sozialisierung ein potentielles Herrschaftsinstrument.
Doch es gibt auch staatliche Bildungsprogramme, die indigene Lernformen integrieren. Sie beschränken sich zumeist auf die basale Schulbildung und sollen beispielsweise die Alphabetisierung der Bevölkerung erleichtern. Im mexikanischen staatlichen Bildungssystem wurden ab dem Jahr 2000 Ansätze indigener Bildung durch die der interkulturellen Bildung abgelöst. Seitdem wird – zumindest dem Anspruch nach – die bilinguale Bildung auf allen Bildungsstufen bis zur Universität gefördert und die kulturelle Diversität Mexikos – offiziell – positiv besetzt.
Der Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu tertiärer Bildung ist eine finanzielle Herausforderung für ärmere Staaten. Dies führt letztendlich auch zur Einseitigkeit wissenschaftlicher und künstlerischer Diskurse und nicht zuletzt der internationalen Filmlandschaft, die von Institutionen wohlhabenderer Staaten und insbesondere durch Akteure und Inhalte ihrer Mehrheitsgesellschaften dominiert werden.
Das diesjährige Festival möchte mit Dokumentar- und Spielfilmen und Workshops die Beiträge indigener Filmschaffender würdigen und zu einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit indigenen Lebensperspektiven einladen.
Es werden Filme von und über VertreterInnen indigener Gruppen in vollkommen verschiedenen Kontexten gezeigt. Es wird wieder die Möglichkeit geschaffen, miteinander und mit anwesenden Filmschaffenden ins Gespräch zu kommen.